Pressetext
Daniel Man
Spot°light: „Wie wahr ich?“
Nusser & Baumgart freut sich sehr, im Rahmen der Open Art neue Arbeiten des in London geborenen Künstlers Daniel Man (*1969) zu zeigen.
Im Spot°light, einem speziellen Ausstellungsformat von Nusser&Baumgart, werden aktuelle Entwicklungen eines Künstlers, bestimmte Werke oder Werkkomplexe in den Fokus gestellt.
Der Entstehungsprozess steht bei Daniel Man im Mittelpunkt seiner Arbeit. Der Besucher sieht in der Ausstellung das Ergebnis eines langen Verfahrens, in dem sich der Künstler mit Fragen zu Ästhetik, Räumlichkeit und Symbolik beschäftigte. In den gezeigten Papierarbeiten ist der Prozess erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Unter dem schwarzen Hintergrund der Werke kann man frühere Formen und Konturen erahnen. Der Künstler übersetzte hier das Verfahren der Subtraktion, wie es in der Bildhauerei angewandt wird, auf die zweidimensionalen Papierarbeiten: Schritt für Schritt trägt er vorheriges Material wieder ab, in dem er es mit Schwarz übermalt. Übrig bleiben abstrakte Objekte, deren individuelle Formen ex negativo, also aus dem nicht-Sein des sie Umgebenden, definiert werden.
Dieses antithesische Vorgehen ist ein charakteristischer Aspekt in Daniel Mans Œuvre. Der Künstler sucht immer wieder nach den Schnittstellen und Zwischenräumen. Die Spannung zwischen dem Eindeutigen und dem Vagen ist es, was ihn antreibt. Zwar verwendet er in seinen Werken oft Symbole aus dem Volksglauben, aus Brauchtümern und Traditionen; deren Urtypen werden aber immer wieder aufgebrochen oder entfremdet. Daniel Man interessiert sich nicht nur für die Mystik die von diesen Sinnbildern ausgeht, sondern auch für deren Doppeldeutigkeit in verschiedenen Kultursystemen. Wie ein Chiffre, das zur anonymen Kommunikation verwendet wird, reißt der Künstler die Symbole aus ihrem Kontext und arbeitet so deren universalen Deutungsanspruch heraus.
Die schwarze Fahne, die Man ausstellt, veranschaulicht dieses Interesse für Traditionen und Symbole. Fahnen wurden im frühen Altertum als Stammes- und Feldzeichen benutzt, kamen vor allem im militärischen Kontext zum Einsatz und wurden deswegen oft kirchlich geweiht und in besonderer Weise aufbewahrt. Im Laufe der Zeit, und auffälligerweise gerade mit Fortschreiten der Moderne, wurde die Verwendung von Fahnen immer vielfältiger und entwickelte sich von einem Kriegsutensil zu einem der populärsten Träger für Werbebotschaften. Heutzutage sind Fahnen in den Großstädten so allgegenwärtig, dass sie kaum mehr wahrgenommen werden und von ihrem ursprünglichen Kontext losgelöst wurden. Daniel Man entwendet die Fahne wieder ihrer Allgegenwärtigkeit und konfrontiert sie mit Symbolen aus dem Volkstümlichen. Im Mittelpunkt des aufgenähten Bildes sind die Konturen einer Schildkröte zu sehen, die sowohl im abendländischen, als auch im chinesischen Kulturkreis symbolisch aufgeladen ist.
Bei der im Raum hängenden Fahne wird auch Mans Auseinandersetzung mit Räumlichkeit in Bildern deutlich. Das aufgenähte Motiv und der Stoff selbst sind zweidimensional. Aufgehängt an einem Mast wird das Textil zur Fahne und somit zu einem raumgreifenden Objekt. Damit baut Man ein Spannungsfeld auf, das Bezüge zu seinem vergangenen künstlerischen Schaffen öffnet: Als ehemaliger Graffiti-Künstler versuchte er in zweidimensionalen Bildern durch Schattierungen und Perspektive eine möglichst realistische Dreidimensionalität zu erreichen. Dieses Interesse an der Räumlichkeit entwickelt er in seinen neuen Arbeiten weiter und umgeht gleichzeitig eindeutige Zuordnungen.
Auch die große Spiegelarbeit beschäftigt sich einerseits mit Möglichkeiten der Dimensionalität und Mans Vergangenheit als Graffiti-Künstler, andererseits steht auch hier der Arbeitsprozess im Vordergrund. Die Formen und Muster folgen keinem vorgegebenen Schema. Die Entstehung verlief über einen längeren Zeitraum, und der Abschluss der Arbeit entsprang eher einem unterbewussten Gefühl, als einer definitiven Überzeugung. Ähnlich dem Ansinnen der von den Surrealisten eingeführten Écriture automatique, ist damit ein hoher Grad an Authentizität und Unmittelbarkeit in der Arbeit spürbar. Die Technik des Sgraffito, eine historische Technik zur Wandbearbeitung (zu deutsch: „kratzen“), von der sich auch die Bezeichnung des Graffiti ableiten lässt, wendet der Künstler auf einem Spiegel an und erzielt damit einen Effekt, der mit Licht und Reflexion spielt. Bezeichnend ist, dass sich Daniel Man aber auch für die Rückseite interessiert und hier die Oberflächenwirkung durch die matte Beschichtung eine ganz andere ist. Die Rückseite zeigt deutlich die Spuren der Bearbeitung; die spröde, ungleichmäßige Oberfläche enthält komplexe, unsystematische Strukturen. Das schwarze Bergseil mit Henkersknoten, an dem der Spiegel befestigt ist, zeigt einmal mehr, dass Daniel Man in seinen Arbeiten am Gegensätzlichen interessiert ist.
Text: Dana Weschke
Courtesy Nusser & Baumgart, München